3. E-Books in Bibliotheken

1E-Books sind nicht einfach nur ein neues Medium, das wissenschaftliche Bibliotheken vermehrt ihren Kunden anbieten. E-Books haben auch das Potential Veränderungsprozesse in den Kernaufgaben wissenschaftlicher Bibliotheken auszulösen oder zu beschleunigen. Dies betrifft Erwerbung, Katalogisierung, Beschlagwortung und letztlich auch die Nutzung von Medien. In diesem Kapitel wird zu zeigen versucht, wie E-Books in diesen Aufgabengebieten als Katalysator für grössere Umwälzungen wirken könnten.[1]

2Mittlerweile scheint unbestritten, dass die E-Books in wissenschaftlichen Bibliotheken angekommen sind. Diese Aussage wissenschaftlich zu untermauern, ist allerdings schwierig. Hier zeigt sich, dass die Frage der Definition des Begriffs E-Books nicht eine akademische Diskussion ist, sondern direkte Auswirkung auf die Praxis hat. Letztlich stellt sich dann auch die Frage, was die Nutzerinnen und Nutzer unter dem Begriff “E-Book” verstehen und ob sich dies mit dem Angebot der Bibliotheken deckt. Gemäss deutscher und schweizerischer Bibliotheksstatistik werden “digitale Bestände (ohne elektronische Zeitungen und Zeitschriften” in einer Rubrik erfasst. Die Definition, wonach “sämtliche Datenbanken und digitalen Einzeldokumente” erfasst werden, ist ziemlich weit gefasst. Auf jeden Fall gehören Eigendigitalisate (also durch die Bibliothek digitalisierte ältere Bücher) ebenfalls dazu. [2]

3.1.1 Bestand und Nachweis der E-Books in wissenschaftlichen Bibliotheken

3Im Handel sind zurzeit über 800‘000 wissenschaftliche E-Books – der grösste Anbieter Pro Quest führt 810’00 Dokumente in seinem Angebot Ebook Central.[3] Interessanterweise gibt es Bibliotheken, die einen höheren Bestand ausweisen. Dies hat zum einen mit den erwähnten Eigendigitalisaten zu tun, zum anderen damit, dass zum Teil Datenbanken zum Angebot gezählt werden. Dies lässt sich am Beispiel einer Datenbank wie ECCO – Eighteenth Century Collection Online – zeigen. In dieser Datenbank werden über 180’000 Werke aus dem 18. Jahrhundert in digitaler Form angeboten. Eine Bibliothek konnte nun diese Datenbank lizenzieren und einfach auf die Homepage dieser Sammlung verlinken. Damit wurde in der Statistik eine Datenbank aufgeführt. Andere Bibliotheken haben die einzelnen Titel aus dieser Datenbank in ihren Bibliothekskatalog integriert, wodurch jedes einzelne Werk als E-Book gezählt wurde. So wuchs der Bestand um 180’000 E-Books. Auch mit Datenbanken, die über Nationallizenzen erworben werden und somit im Prinzip in allen Bibliotheken verfügbar sind (z.B. die Datenbank Chinamaxx in Deutschland), verhält es sich so: wenn eine Bibliothek die Titel einzeln nachweist, werden sie in der Statistik auch als einzelne E-Books angegeben.

4Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass eine Bibliothek weniger Titel ausweist, als dass sie effektiv anbietet. Wenn eine Bibliothek ein Paket an E-Books lizenziert, wird der Zugang umgehend freigeschaltet. Angehörige der Hochschule haben dann auf der Plattform des Anbieters sofort Zugriff auf diese Werke. Bis die E-Books aber im Bibliothekskatalog verfügbar sind, müssen zuerst die Metadaten eingespielt werden. Dabei kommt es in vielen Bibliotheken zu grossen Verzögerungen (mehr dazu später). Und in der Statistik tauchen dann diese Werke erst auf, wenn sie im Bibliothekskatalog nachgewiesen sind. Dies gilt für zum Beispiel für die E-Books der ETH-Bibliothek. Hier werden nur diejenigen E-Books explizit ausgewiesen, die über den Katalog erschlossen und im Wissensportal suchbar sind. Auf der Webseite über das E-Book-Angebot wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Titel über das Wissensportal findbar sind und sich auf den Plattformen der Verlage mehr lizenzierte E-Books finden lassen.[4]

5Die Schweizer Bibliotheksstatistik führt seit 2015 neu die Variable “E-Books online verfügbar” für Wissenschaftliche Bibliotheken (EDI, Definitionen der Variablen, 2016). Der Indikator ist relativ offen definiert:

F47b NEUE VARIABLE
EBooks online verfügbar (Anzahl Titel)
EBooks: elektronische Bücher, lizenziert oder durch Kauf erworben, open access nutzbar und Eigendigitalisate, sofern durch die Bibliothek verfügbar gemacht. Ausschlaggebend ist das konkrete elektronische Angebot für die Benutzenden der Bibliothek, unabhängig davon, wer welches Angebot lizenziert hat (Einkaufsgemeinschaften wie Konsortium oder Verbünde einerseits, lokale Bibliotheken andererseits).
Eingeschlossen: elektronische Hochschulschriften (Dissertationen, Habilitationen). Übrige Qualifikationsarbeiten (Master-Arbeiten usw.) werden ebenfalls gezählt, sofern sie diese Kriterien erfüllen.
Ausgeschlossen: Laufende elektronische Zeitschriften und Zeitungen, digitale AV Medien und digitale Einzeldokumente.

6Die Definition beinhaltet also auch Eigendigitalisate sowie elektronische Hochschulschriften unabhängig davon, wie die E-Books erworben worden sind. Wenn man die Zahlen genauer anschaut, fallen die sehr grossen Unterschiede bei den Universitätsbibliotheken auf: Während die Universitätsbibliothek Basel für 2015 876’695 “online verfügbare E-Books” aufführt, sind es an der Hauptbibliothek der Universität Zürich nur gerade 248. Auch die Zentralbibliothek Zürich weist mit 70’800 E-Books einen vergleichsweise geringen Bestand aus.

Universitätsbibliothek Basel 876’695
Bibliothèque de Genève 580’000
Bibliothèque de l’Université de Genève 477’887
ETH-Bibliothek 227’346
Universitätsbibliothek Bern 173’571
Bibliothèque cantonale et universitaire de Lausanne 160’391
Bibliothèque publique et Universitaire de Neuchâtel 147’745
Bibliothek der Universität St. Gallen 144’037
Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern 86’858
Zentralbibliothek Zürich 70’800
Bibliothèque cantonale et universitaire de Fribourg 5’200
Biblioteca universitaria di Lugano 507
Hauptbibliothek Universität Zürich 248
Biblioteca dell’Accademia di architettura, Mendrisio 74
Bibliothèque centrale de l’EPFL

Tabelle: Bestand an E-Books in Universitätsbibliotheken der Schweiz, 2015 (Quelle: Schweizer Bibliotheksstatistik)

7Diese auffälligen Werte zeigen, dass die Erhebung für die Statistik nicht unproblematisch ist. Die Hauptbibliothek der Universität Zürich weist im Jahresbericht für 2015 einen E-Books-Bestand von 62’231 aus. Die Angaben in der Bibliotheksstatistik sind offensichtlich falsch. Die UB Bern wies früher deutlich höhere E-Books-Bestände aus, da sie (wie oben ausgeführt) die Bestände aus der Datenbank ECCO katalogisierte und somit als E-Books auswies. Heute indexiert sie auch Open E-Books und weist diese in ihrem Katalog auf. Interessant auch die Differenz der Angaben bei der ETH-Bibliothek: auf der Homepage wird für 2015 ein Bestand von 184’537 E-Books angegeben, während es in der Bibliotheksstatistik 227’346 sind.

3.1.2 Nutzung von E-Books in Wissenschaftlichen Bibliotheken

8Wenn nur schon die Angaben zur Bestandeszahl schwierig sind, wird es bei den Nutzungszahlen naturgemäss noch komplexer. Die Schweizerische Bibliotheksstatistik hat zwar 2016 neu als Variable die Anzahl Downloads von E-Books aufgenommen, doch wurde die Zahl bisher noch nicht ausgewiesen. Zuvor wurden die Zugriffe auf Datenbanken und digitale Einzeldokumente ausgewiesen. Es wäre für den Nachweis der Nutzung der digitalen Medien wichtig, dass diese Zahlen einheitlich und verbindlich erhoben werden.[5]

G71b
EBooks (Anzahl Downloads)
EBooks – online verfügbar (Definition s. Ind. F47b): Downloads: erfolgreicher Empfang (auf Festplatte oder auch nur auf Bildschirm) eines elektronischen Dokuments (oder Auszügen davon) als Datei von einem von der Bibliothek bereitgestellten Online- oder Internet Dienst. Standardisierte Zählweise nach Counter Release 4 oder höher verwenden, sofern verfügbar (sonst andere automatisierte Zählung). Eingeschlossen: Ebook Nutzung als virtuelle Ausleihe.

9Der Hinweis auf Counter ist insofern bedeutsam, dass die Nutzung von E-Books pro Download gemessen wird (https://www.projectcounter.org). Wir erinnern uns, dass bei den E-Books in der Regel pro Kapitel ein PDF angeboten wird – somit wird bei der E-Books-Nutzung im wissenschaftlichen Bereich die Anzahl heruntergeladener Kapitel gezählt. Andersrum hat man entschieden, dass bei den wissenschaftlichen Titeln, die komplett als PDF angeboten werden, ein Download demjenigen der Anzahl aller einzelnen Kapitel im Buch entspricht. Wenn also die E-Books-Nutzungszahlen explodieren, muss man dies berücksichtigen. Die Schweizer Bibliotheksstatistik liefert bis 2014 die Zahlen für die Rubrik Zugriffe auf Datenbanken und Einzeldokumente, in der auch die E-Books enthalten sind. Wir sehen hier relativ stabile Ausleihzahlen, kontinuierliche steigende Zugriffe auf E-Journals und sehr stark steigende Nutzungszahlen von Datenbanken und elektronischen Einzeldokumenten. Wie oben gesagt, ist das zu relativieren. Zum einen ist die Rubrik ein Sammelsurium, bei dem auch Zugriffe auf Plattformen mit digitalisierten Zeitschriften und Zeitungen mitgerechnet werden. Einen extremen Ausreisser im Jahr 2012, als eine einzelne Bibliothek plötzlich 120 Mio Zugriffe (!) meldete, habe ich rausgerechnet.

Abbildung: Nutzung von Medien an Schweizer Universitätsbibliotheken gemäss Bibliotheksstatistik (eigene Darstellung)

10Auch hier habe ich ein Beispiel, das ich aus eigener Anschauung kenne, ausgewählt, um diese Entwicklung anhand der Nutzungszahlen aufzuzeigen und dafür die Jahresberichte der ETH-Bibliothek ausgewertet (Jahresbericht. ETH-Bibliothek. http://dx.doi.org/10.3929/ethz-a-004157606). Die ETH-Bibliothek ist mit ihrem Fächerspektrum (Schwerpunkt Technik und Naturwissenschaften) für eine Vorreiterrolle in der Nutzung elektronischer Medien prädestiniert. Die Verhältnisse sind entsprechend beeindruckend: Bei Ausleihen im Bereich von rund 300’000 pro Jahr macht heute die elektronische Nutzung etwa 20 Millionen aus. Hier sind E-Books, E-Journals und eigene Plattformen (für digitalisierte Zeitschriften) und das Hochschulrepositorium mitgerechnet. Die E-Books haben seit 2012 eine rasante Entwicklung durchgemacht und stehen 2015 mit über 5 Mio. Downloads, also heruntergeladenen Kapiteln, zu Buche. Interessanterweise (dies nur nebenbei bemerkt) hat die Plattform mit den selbst digitalisierten Zeitschriften (E-Periodica oder bis 2016 unter dem Namen retro.seals) in 2015 die Spitze übernommen, noch vor den lizenzierten E-Journals. Zudem hat die Nutzung der E-Books im Jahre 2015 ebenfalls die Zugriffe auf die E-Journals übertroffen.

Abbildung: Nutzungszahlen verschiedener Mediengruppen an der ETH-Bibliothek (eigene Darstellung)

3.1.3 Erwerbung von E-Books

11E-Books haben das Potential, die herkömmlichen Prozesse der Erwerbung und Katalogisierung und somit bisherige Kernaufgaben von Bibliotheken umzuwälzen. Das traditionelle Vorgehen, bei dem Fachreferenten Monografien auswählen und den Kauf auslösen, wird durch die E-Books unterlaufen. Neue Verfahren wie virtuelle Warenkörbe, Pick&Choose, Approval Plans oder Patron Driven Acquisition (PDA) setzen sich auch wegen der E-Books immer stärker durch. Im letzteren Fall wird der Beschaffungsentscheid dem Bibliotheksnutzer übertragen: Es gibt hier unterschiedliche Modelle, doch im Grundsatz funktioniert es so, dass die Bibliothek die Metadaten einer grossen Zahl an E-Books in ihren Katalog einspielt, ohne diese Dokumente schon zu kaufen. Dies geschieht erst in dem Moment, da der Nutzer den Titel elektronisch bezieht. Dieses Angebot kann durch die Bibliothek moderiert werden oder auch nicht. Bei der nicht-moderierten Variante führt ein Klick des Nutzers automatisch zum Kauf des E-Books, wobei die Zahl der Nutzungen bis zum Kaufvorgang vertraglich vereinbart werden kann. Bei der moderierten Variante liegt der definitive Erwerbungsentscheid bei der Bibliothek. Wobei wiederum verschiedene Varianten möglich sind: entweder wird eine enge Vorauswahl der angebotenen E-Books getroffen oder es braucht effektiv eine Zustimmung der Bibliothek, damit ein einzelnes Werk gekauft wird. Bei beiden Modellen hat sich die Kurzausleihe (STL, Short Term Loan) als Zwischenschritt etabliert: Wenn eine Nutzer einen Titel anklickt, erhält er zunächst einen zeitlich befristeten Zugang zum E-Book. Nach einer vordefinierten Zahl solcher Nutzungen wird das E-Book dann gekauft.  Dieses Erwerbungsmodell macht es noch schwieriger, genaue Bestandeszahlen an E-Books anzugeben.

12Das Modell der nutzergesteuerten Erwerbung lässt sich im Prinzip auch auf gedruckte Bücher übertragen, wobei hier der Nachteil darin besteht, dass nach dem Kaufentscheid des Benutzers das entsprechende Buch erst geliefert werden muss. Beim E-Book entfällt diese Lieferfrist und das Dokument steht sofort bereit. Die Nutzerin oder der Nutzer merken von diesem Vorgang nichts und können das E-Book ohne Zeitverzögerung lesen. Aus Bibliothekssicht wird der Effekt von PDA durchaus positiv beschrieben: die Mechanismen zum Auslösen des Kaufs wurden verfeinert, so dass heute die Qualität der über PDA erworbenen Titel als hoch bezeichnet werden kann. Das Verhältnis von Kosten und Nutzen wird als durchaus positiv beschrieben. (Fischer, 2016) Allerdings sind die STL stark in die Kritik geraten, weil viele Verlage die Kosten für eine einzelne “Ausleihe” massiv erhöht haben. (Plappert 2015)

13Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen elektronischen und gedruckten Büchern besteht darin, dass E-Books nicht unbedingt gekauft werden und in den Besitz der Bibliothek übergehen, sondern es wird eine zeitlich limitierte Lizenz abgeschlossen. Es gibt zwar die Option, die Archivrechte ebenfalls zu erwerben, was aber eher selten geschieht. PDA wird in der Regel über Aggregatoren angeboten, also Zwischenhändler, die eine eigene digitale Plattform mit den Inhalten der Verlage betreiben und diese dann an die Endnutzer vermitteln. Wobei die Verlage immer häufiger auch selbst solche PDA-Modelle anbieten.[6]

14“Für [die Verlage] ist die nutzergesteuerte Erwerbung nur eine unter mehreren Vertriebsformen und aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht die ertrag­reichste, da sie auch die E-Book-Aggregatoren an den Umsätzen beteiligt. Vor allem für große Verlage ist es interessanter, E-Books über die verlagseigenen Plattformen zu vermarkten oder gleich eigene Modelle – Stichwort EBA „Evidence Based Acquisition“ – auszutesten, welche die E-Book-Aggregatoren außen vor lassen. Beispiele sind hier De Gruyter, Elsevier, Cambridge und Wiley.” (Plappert 2015)

15Wobei der Aggregator MissingLink seit 2013 das Modell Evidence Based Selection testet und anbietet. Das Modell sieht vor, dass möglichst viele E-Books von einem oder mehreren Verlagen freigeschalten werden und dass nach einem Jahr auf der Grundlage der effektiven Nutzung der E-Books und im Rahmen eines im Voraus festgelegten Kostendachs entschieden wird, welche Titel gekauft werden. Anschliessend werden die Metadaten in den Bibliothekskatalog eingespiesen. Das Modell kann also von Aggregatoren und/oder Verlagen angeboten werden. ProQuest propagiert ein solches Modell unter dem Titel Demand Driven Acquisition, das noch mit dem Modell Access-to-Own kombiniert werden kann. (http://www.proquest.com/products-services/ebooks/ebooks-main.html)

Demand Driven Acquisition (DDA) enables libraries to provide access to a large number of ebooks of their choice – and only purchase those that are used following a free browse period or when the patron copies, prints, or downloads. When titles are triggered by patron use, the library has the option to purchase the titles (perpetual access) or leverage short-term loans (STLs).
Access-to-Own (ATO) is an innovative, usage-based acquisition model that facilitates title ownership by applying spending on loans towards perpetual purchases.

16Die Erfahrungen in Bibliotheken zeigen, dass PDA die Arbeitsabläufe nicht unbedingt erleichtert, sondern dass zum Teil zusätzliche Arbeitsprozesse nötig werden. Gerade die Option mit Kurzausleihen und der Umstand, dass E-Books öfters auch aus dem Katalog entfernt werden müssen (wenn z.B. die Lizenz nicht verlängert wird), bringt nicht die eigentlich erwünschte Erleichterung bei der Bearbeitung.

3.1.4 Katalogisierung von E-Books

17Auch diese traditionelle bibliothekarische Kernaufgabe wird durch die E-Books in Frage gestellt. Die E-Books sind hier wiederum Katalysator einer schon laufenden Bewegung. Es war ja schon bei gedruckten Monografien schwer verständlich zu machen, weshalb denn alle Bibliotheken dieser Welt dieselben Bücher separat katalogisieren und beschlagworten. Aber bei den gedruckten Werken handelt es sich immerhin um verschiedene Exemplare mit unterschiedlichen Standorten in den jeweiligen Bibliotheken. Bei E-Books, die in der Regel auf dem Server des Verlags den Nutzern zugänglich gemacht werden, erscheint die separate Bearbeitung in jeder Bibliothek noch abstruser. Wie kann man rechtfertigen, dass die eine Datei auf x-fache Weise von hochbezahlten wissenschaftlichen Mitarbeitern nach leicht unterschiedlichen Standards beschrieben wird? Aus Nutzersicht ist ja die Qualität des Suchergebnisses entscheidend, und dieses lässt sich auch durch die Integration von Volltextsuche (zumindest in Abstracts und Inhaltsverzeichnissen) optimieren. Die Aufgabe des wissenschaftlichen Personals könnte in Zukunft bei der Aufbereitung der Metadaten als Linked Open Data für die Nutzung im semantischen Web liegen.

18Bei der Katalogisierung bzw. dem Nachweis der verfügbaren E-Books entsteht oft eine zeitliche Verzögerung: Nach dem Kauf von Lizenzpaketen gelangt auf einen Schlag eine grosse Menge an E-Books in den Bestand der Bibliothek, deren Katalogisierung aber noch eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. So heisst es auf der Website der Zentralbibliothek Zürich: “Die von der ZB und der Uni Zürich erworbenen E-Books sind im Rechercheportal nachgewiesen. Neu erworbene Titel sind unter Umständen erst mit zeitlicher Verzögerung im Katalog verzeichnet.”[7] Idealerweise werden mit den E-Books auch die Metadaten übernommen und unmittelbar in den Katalog eingespielt. Oft bedingt jedoch die Übernahme in den Bibliothekskatalog noch Normalisierungen und Korrekturen. Auch die Einträge im Link Resolver (hierzulande in der Regel SFX) müssen vorgenommen werden, damit der Zugriff aus dem Bibliothekssystem funktioniert. Nicht immer weisen die Metadaten eine Qualität auf, die bibliothekarischen Ansprüchen genügt. Es dürfte allerdings nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich die Einspielung von Metadaten aus zentralen Verzeichnissen durchsetzt und die Formalkatalogisierung als Kernprozess in Bibliotheken somit in Frage gestellt wird.

19Die Universitätsbibliothek Basel  berichtet in ihrem Jahresbericht 2015 von einem neuen Verfahren zum Einspielen der Metadaten:

Im Sommer wurde ein Upgrade unseres Verwaltungstools für E-Medien von “360 Resource Manager“ zu „Intota“ vorgenommen. Die neue Oberfläche ist übersichtlicher, bietet mehr Optionen und eine bessere Performance. Die zweiwöchentlichen Marc Update-Lieferungen für E-Books und deren Anzeige in swissbib Basel Bern haben sich bewährt und sind bereits Routine. Damit konnte der Arbeitsablauf auch für einzeln erworbene E-Books umgestellt und die mit hohem personellen Aufwand verbundene manuelle Katalogisierung und Verwaltung in Aleph, abgelöst werden.

20In anderen Verbünden (z.B. im Schweizer NEBIS-Verbund) werden die Metadaten von E-Books in grösseren Zeitabständen eingespielt. Hier kann es geschehen, dass ein E-Book erst ein halbes Jahr nach der Erwerbung der Lizenz im Katalog sichtbar wird. Aus Nutzersicht führt dies zur oben beschriebenen unangenehmen und unverständlichen Situation, dass man E-Books zuerst auf den verschiedenen Plattformen der Verlage suchen muss. Dies wiederum schwächt die Position der Bibliotheken und ihres OPACs oder Portals in Konkurrenz zu anderen Anbietern.

21Eine Bachelor-Thesis an der HTW Chur (Monika Keller: Metadaten in E-Books) hat gezeigt, dass die Kritik der Bibliotheken an der Qualität der Metadaten in E-Books auf sie zurückfällt: Die Anforderungen der Bibliotheken sind heterogen bis widersprüchlich und von Verbund zu Verbund unterschiedlich. Bevor die Verlage Metadaten liefern können, die bibliothekarischen Standards entsprechen, müssen diese erst einheitlich definiert und beschlossen werden. Hier lautet mein Ratschlag an die Bibliotheken, dass man sich umgehend auf einen Standard einigen sollte und dabei auch Abstriche an den eigenen Qualitätsanforderungen und Spezifikationen macht.

3.1.5 E-Books-Formate und ihre Nutzung

22Im Wissenschaftsbereich sind ein Format und gleichzeitig auch ein Nutzungsmodell vorherrschend: Die Verlage bieten E-Books nach dem gleichen Modell an wie elektronische Zeitschriften. Sie nutzen für beide Medientypen dieselben technischen Plattformen. Das bei den E-Journals etablierte und bewährte Modell wurde auf die E-Books übertragen: Die Bücher werden wie Zeitschriftenhefte auf einer Webseite und die einzelnen Kapitel (analog zum Zeitschriftenartikel) als PDF-Dokument zum Download angeboten. Die PDF-Dateien werden ohne Kopierschutz, also ohne DRM, bereitgestellt. Der Zugriff ist jedoch nur aus dem Netzwerk der Hochschule möglich, welche das E-Book lizenziert hat. Der Fernzugriff für Hochschulangehörige ist über technische Verfahren auch von ausserhalb der Hochschulgebäude möglich.[8] Diese Lösung hat den grossen Nachteil, dass eingeschriebene Benutzer einer Hochschulbibliothek, die nicht Mitglied dieser Hochschule sind, keinen Zugriff von aussen auf die lizenzierten elektronischen Bücher und Zeitschriften haben.

23Die meisten Hochschulbibliotheken im deutschsprachigen Raum verstehen sich als öffentliche Bibliotheken – nun wird diese Aufgabe durch die Einschränkung des Zugriffs auf wichtige Inhalte ausgehöhlt. Anstelle eines Zugriffs via VPN wäre die Authentifizierung über Shibboleth möglich, was aber die Registrierung der Nicht-Hochschulangehörigen als Nutzer und die Zuteilung spezifischer Berechtigungen bedingt.[9] Letztlich ist es jedoch primär eine Frage des Preises für die angesichts des erweiterten Nutzerkreises verteuerten Lizenzen. Verlage sehen die Lösung primär in Nationallizenzen. In Deutschland gibt es dank DFG-Förderung ein breites Angebot an bundesweit zugänglichen Datenbanken mit E-Books. In der Regel handelt es sich dabei aber nicht um die aktuellsten Publikationen.[10] Für eine Nationallizenz eines aktuellen E-Book-Pakets müsste ein so hoher Preis bezahlt werden, dass der anbietende Verlag mindestens die Summe der Erlöse aus den an einzelne Hochschulen (und an andere Institutionen und Firmen) lizenzierten Pakete erhalten würde. In Anbetracht des Umsatzes, den die Wissenschaftsverlage in Deutschland oder der Schweiz mit E-Book-Paketen und E-Journals erwirtschaften, ist kaum denkbar, dass sich für eine solche Investition eine Trägerschaft finden wird.

24In den letzten Jahren haben einige Wissenschaftsverlage damit begonnen, E-Books auch im Format EPUB anzubieten (z.B. Springer oder De Gruyter). Damit einher geht auch das Angebot der vollständigen E-Books als ein Dokument (PDF und/oder EPUB). Beides ist aus Nutzersicht sehr begrüssenswert. Das EPUB-Format ist für die mobile Nutzung auf Smartphones oder Tablets mit kleinen Bildschirmen – und somit für die Integration in mobile Bibliothekskataloge – eigentlich ideal. Die von den Verlagen angebotenen PDF-Versionen haben aus Nutzersicht verschiedene Mängel: Man darf (bzw. durfte) gemäss Lizenzbestimmungen eigentlich nicht das ganze Werk herunterladen. Das Copyright wird hier so interpretiert, dass der Bezug der elektronischen Version einer Kopie gleichgesetzt wird. Und deshalb dürfen nur Teile des Werks für den Eigenbedarf „kopiert“, also heruntergeladen und gespeichert werden. Die Fragmentierung in Einzelkapitel bedeutet, dass die einzelnen Files auf dem Rechner des Nutzers nachträglich organisiert werden müssen. Die Files enthalten wenig bis keine Metadaten und weisen zudem oft nichtssagende Dateinamen (fulltext.pdf) auf, was die Identifikation und Ordnung der Artikel auf dem Rechner zu einem mühsamen Geschäft macht. Wobei die einzelnen Verlage hier unterschiedlich brauchbare Inhalte liefern. Bei De Gruyter entspricht der Dateiname dem Titel des Kapitels, aber das PDF enthält keine nutzbaren Metadaten. Elsevier liefert mit dem PDF auch die Metadaten zu Autor und Titel des Kapitels mit und im Betreff zum Titel des Werks (mehr dazu im Kapitel über das Arbeiten mit E-Books).

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Screenshot: Metadaten zu einem PDF-Dokument aus dem Elsevier-Verlag

 

25Aber auch für die Rezeption des Inhalts eines E-Books weist dieses Modell grosse Nachteile auf: Nutzer laden nur einzelne Kapitel herunter und lesen weder Einleitung noch vorangehende Kapitel. Das heisst, die Information wird fragmentiert und aus dem Zusammenhang gerissen.

26Ursprünglich war der zeitlich limitierte Zugriff auf E-Books praktisch auf die Öffentlichen Bibliotheken beschränkt (mehr dazu im folgenden Kapitel). Die ETH-Bibliothek hat im Rahmen des Projekts E-Lending ein Angebot für Nicht-Hochschulangehörige geschaffen, das eine solche zeitlich limitierte Nutzung vorsieht. Über den Aggregator EBL werden hier E-Books von einigen Verlagen angeboten, bei denen der Zugriff über das DRM und System von Adobe geregelt wird. Zuvor muss man sich als BenutzerIn registrieren und erhält einen entsprechenden Zugriff auf das Angebot mit zeitlich limitierter Nutzung.

27Im Kontext der Patron Driven Acquisition setzen Wissenschaftliche Bibliotheken vermehrt auf Angebote, die den Zugriff über DRM regeln. Dadurch erhalten die Nutzerinnen und Nutzer zwar Zugriff auf ein deutlich grösseres Angebot an E-Books, die erst nach einer bestimmten Nutzungsintensität von der Bibliothek gekauft werden. Gleichzeitig wird jedoch das Angebot noch heterogener. Diese E-Books können nur zu bestimmten Konditionen mit Hilfe spezieller Software genutzt werden. Ein Beispiel hierfür gibt die Zentralbibliothek Zürich, die auf ihrer Homepage die verschiedenen E-Books-Anbieter auflistet und bei EBL und Ebrary (heute: Ebook Central) auf die eingeschränkte Nutzung hinweist.

E-Books_ZBZ

Screenshot der Seite E-Books der ZB Zürich

28Über den Link “Einschränkung” in der rechten Spalte erhält man Informationen zu den eingeschränkten Nutzungsbedingungen der jeweiligen Anbieter. Hier zum Beispiel bei Ebook Central (dem aus EBL und ebrary entstandenen Anbieter):

Abbildung: Nutzungshinweis bei Ebook Central (Quelle: ZB Zürich)

29Diese transparente Information gibt einen Hinweis darauf, dass die Nutzungsbedingungen für die Anwender ziemlich kompliziert und schwer durchschaubar sind. Ein einfacher und einheitlicher Zugriff sieht anders aus. Aus den Angaben schliesse ich, dass es zwei Nutzungsvarianten gibt: eine online-Option, bei der die E-Books im Browser gelesen und annotiert werden können und eine DRM-geschützte Option für den Download. Der Hinweis auf die Notwendigkeit von Adobe Digital Editions zeigt, dass es sich um ein System mit “hartem” DRM handelt.

3.1.6 Suche und Zugriff auf die E-Books

30Die eingangs erwähnten Unschärfen bei der Definition widerspiegeln sich auch bei den Suchmöglichkeiten. Welche Begriffe stehen zur Verfügung, wenn man nach einem E-Book im Katalog sucht? Nach dem Medientyp “E-Book” kann man selten direkt suchen. Die aktuellen Discovery-Systeme (z.B. Primo) bieten meist den Zugriff über sog. Facetten. Das Konzept, wonach man zuerst eine offene Suche anbietet, die in einem zweiten Schritt anhand vorgegebener Kriterien (Facetten) gefiltert werden kann, hat sich weitgehend durchgesetzt. Wenn man nun an einem E-Book interessiert ist, muss man zuerst nach einem Titel, Thema oder Autor suchen und kann dann einen Medientyp einschränken.

 

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Screenshot: Resultatanzeige in der NEBIS Recherche (Primo)

 

31Als Beispiel die Anwendung Primo des Schweizer NEBIS-Verbunds. Hier kann man auf der Trefferliste rechts verschiedene Facetten auswählen, u.a. den Typ der Ressource, wobei sich dies hier auf Bücher, Videos und Artikel beschränkt. Links oben gibt es eine Auswahlliste an Medientypen, wobei auch hier keine Option E-Books oder ähnliches geboten wird. Man muss also rechts oben bei der Verfügbarkeit “Online Ressourcen” wählen und dann beim Ressourcentyp “Bücher”, damit man die E-Books findet. Dies entspricht weitgehend der gängigen Praxis in Wissenschaftlichen Bibliotheken.

32Besser gelöst ist dies im Hamburger Beluga-Katalog, der auf VuFind basiert (https://beluga.sub.uni-hamburg.de/vufind/): Hier kann man bei der Medienart direkt “Elektronische Bücher” auswählen.

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Screenshot Beluga – Katalog der Hamburger Bibliotheken

33Wie oben angedeutet, gibt es oft auch weitere Möglichkeiten, um gezielt E-Books zu suchen. Wobei für den Nutzer nicht klar ist, welche E-Books er nicht im allgemeinen Katalog findet. So zum Beispiel bei der Bayerischen Staatsbibliothek, die über den OPACplus auch die Suche nach E-Books ermöglicht, zusätzlich aber auf einer Informationsseite zu Büchern auf die Datenbank DBIS verweist, auf der die einzelnen E-Books-Plattformen der verschiedenen Anbieter aufgeführt sind. Höchst wahrscheinlich sind über diese Plattformen eben auch E-Books findbar, die noch nicht einzeln katalogisiert worden sind. (https://www.bsb-muenchen.de/recherche-und-service/suchen-und-finden/)

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Screenshot: Sucheinstieg bei der BSB

34Der Zugriff auf die E-Books in Wissenschaftlichen Bibliotheken erfolgt in der Regel über die freigeschaltete IP-Adresse. Dieses Verfahren wurde für die elektronischen Zeitschriften entwickelt und auf die E-Books übertragen. Dies bedingt einige Vorarbeiten seitens der Bibliothek, die sicherstellen muss, dass die IP-Range der eigenen Hochschule beim Anbieter von E-Books eingetragen ist. Anschliessend können die Angehörigen der Hochschule über verschiedene Verfahren aus dem Netzwerk der Hochschule auf die E-Books zugreifen. Die Authentifizierung erfolgt zum Beispiel über ein Virtual Private Network (VPN), das den Zugriff aus dem Netzwerk auch von ausserhalb den Räumen der Hochschule ermöglicht. Eine andere Variante ist EZproxy (https://en.wikipedia.org/wiki/EZproxy). Denkbar wäre auch ein Verfahren, das eine individuelle Anmeldung erfordert, z.B. über Shibboleth. Beim Angebot E-Lending der ETH-Bibliothek für externe Nutzer kommt ein solcher Dienst von SWITCH (https://www.switch.ch/de/services/aai/) zum Einsatz, bei dem man sich einmalig registrieren muss.

35Ein nächster Bearbeitungsschritt besteht darin, dass das lizenzierte E-Book über einen Linkresolver freigegeben wird. Im Bibliotheksbereich hat sich das System SFX von ExLibris weitgehend durchgesetzt. Dabei muss zunächst das E-Book – meist im Rahmen eines von einem Verlag gelieferten Pakets – in der Knowledge Base von ExLibris eingetragen werden. Die Bibliothek, welche das Werk lizenziert, muss dann nur noch diesen Eintrag übernehmen. Schwierigkeiten ergeben sich besonders dann, wenn das E-Book von einem kleinen Verlag stammt und nicht in der Knowledge Base von SFX enthalten ist.

36Bei der Nutzung von E-Books gibt es eine ganze Reihe von Fehlerquellen, die dazu führen, dass das gewünschte E-Book (oder auch ein Artikel in einer elektronischen Zeitschrift) nicht aufgerufen werden kann.

  • Die Ressource ist nicht korrekt in SFX eingetragen
  • Das E-Book ist noch nicht katalogisiert
  • Open Access ist beim Verlag nicht korrekt umgesetzt (Lizenz nicht aktualisiert)
  • Die temporäre Lizenz ist erloschen, das Werk aber noch im Katalog aufgeführt
  • Der Nutzer befindet sich im falschen Netzwerk: Wenn man sich in einer anderen Hochschule befindet und sich über Eduroam mit dem Internet verbindet, erhält man die Berechtigungen der lokalen Hochschule. Je nachdem hat man nun Zugriff auf andere Inhalte. Wenn ich mich aber mit VPN oder EZproxy verbinde, habe ich die Berechtigungen meiner eigenen Hochschule. Verwirrend kann dabei sein, dass der Zugang eine Weile aktiv bleibt, auch wenn man das Netzwerk wechselt.
  • Bei Angeboten mit DRM (zum Beispiel die Kurzausleihe im PDA-Modell oder beim E-Lending) benötigt man zusätzlich eine Adobe-ID, da die Rechteverwaltung über das DRM von Adobe erfolgt. Dies führt zu zahlreichen zusätzlichen Fehlerquellen, die im Kapitel über E-Books in Öffentlichen Bibliotheken genauer beschrieben werden.

37Hier ein Beispiel für die manchmal ziemlich verwirrende Situation aus Sicht eines Nutzers: Die HTW Chur hat E-Books unter anderem über Science Direct von Elsevier lizenziert. In der Übersicht auf Science Direct sind die E-Books grün markiert, zu denen man Zugang hat – beziehungsweise Zugang haben sollte.

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Screenshot der Übersichtsseite von E-Books auf ScienceDirect mit dem Hinweis auf die Verfügbarkeit des Titels “Collaborative Leadership”.

38Wenn man den Titel anwählt, erkennt man auf der nächsten Ebene, dass nur die Frontmatter inklusive Vorwort tatsächlich zugänglich ist. Oder noch unverständlicher: Beim Titel “Accounting and Financial Management” sind alle Kapitel grün gekennzeichnet, was eigentlich Zugriff bedeutet.

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Abbildung: Screenshot eines E-Book-Titels auf ScienceDirect.

39Wenn man nun ein Kapitel aufruft und das entsprechende PDF herunterladen will, erscheint eine unspezifische Fehlermeldung: Sorry, the requested document is unavailable.

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Abbildung: Fehlermeldung auf ScienceDirect

40Was da genau schief gegangen ist, versteht ein Nutzer nicht. Wobei dies ein Beispiel ist, auf das ich zufällig gestossen bin. Aber ich stelle fest, dass es immer wieder und bei vielen Anbietern zu solchen oder ähnlichen Problemen kommt. Es geht hier nicht darum, Science Direct anzuprangern. Mit dem Beispiel soll gezeigt werden, dass dieses System der Berechtigungen und Zugriffsmöglichkeiten ziemlich heikel und fehleranfällig ist.

3.1.7 Sichtbarkeit der E-Books

41Untersuchungen zeigen immer wieder, dass das E-Book-Angebot einer Wissenschaftlichen Bibliothek von vielen Hochschulangehörigen nicht genutzt wird. Viele kennen dieses Angebot gar nicht, wie z.B. eine Studie an der Universität Freiburg gezeigt hat. (Reimers 2012) Zu den praktischen Hindernissen bei der Nutzung, die oben beschrieben wurden, kommt also die mangelhafte Sichtbarkeit des Angebots hinzu. Was können Bibliotheken unternehmen, um die für teures Geld lizenzierten E-Books besser an die potentiellen Nutzerinnen und Nutzer zu bringen?

42Ein erster und zentraler Schritt ist sicherlich die bessere Sichtbarkeit im Katalog. Dazu gehört eine (schnelle) Integration in den Katalog und dann die gezielte Suchmöglichkeit, wie oben am Beispiel von Beluga gezeigt. Ich gehe davon aus, dass nicht wenige Nutzer sich gar nicht bewusst sind, dass sie das E-Books-Angebot ihrer Bibliothek nutzen, wenn sie ab und zu ein PDF-Dokument herunterladen. Zumal sie diese ja nicht unbedingt über den OPAC der Bibliothek aufrufen, sondern direkt auf der Plattform des Verlags. In diesem Fall ist die Sichtbarkeit der Bibliothek als Vermittler des Angebots erschwert. Die ausführlichen Beschreibungen der E-Books-Anbieter auf der Homepage der Bibliotheken führen da in die falsche Richtung. Aus Sicht der Bibliotheken und der Nutzerinnen und Nutzer wäre es viel wichtiger, dass die E-Books möglichst ohne Zeitverzögerung über einen einzigen Suchzugang (den OPAC oder das Discovery-System) aufgerufen werden können.

43Die Neuerwerbungen bei den E-Books könnten deutlich aktiver beworben werden, als dies heute geschieht. Bei den gedruckten Büchern kennt man die Vitrine mit den Neuerwerbungen, die eine hohe Ausleihrate bewirken. Dies lässt sich über Screens in der Bibliothek oder Einstiegsseiten im Web auch auf elektronische Medien übertragen. Einige Bibliotheken besprechen in ihrem Blog elektronische Neuerwerbungen oder neu lizenzierte Pakete.

Screen im CERN mit Hinweis auf aktuelle E-Books (eigene Darstellung)

44Im Projekt Quellentaucher (Büning 2015) wurden zwar in erster Linie neue Formen der Recherche und Interaktion entwickelt, doch diente es auch der Sichtbarmachung digitaler Ressourcen in Bibliotheken. Vom digitalen Büchergestell bis zu neuen Formen der Recherche und Interaktion an grossen Bildschirmen wurden Methoden entwickelt und getestet, welche den Umgang mit digitalen Inhalten erleichtern sollten. Zuvor hatte sich Janine Taubert in ihrer Masterarbeit mit der Visualisierung der digitalen Medien in Bibliotheken befasst (Taubert 2013). Eine relativ einfache und öfters umgesetzte Methode sieht vor, die digitalen Inhalte direkt am Büchergestell bei den analogen Medien sichtbar zu machen.  Bibliotheken drucken Titelblätter der E-Medien aus und stellen diese neben die analogen Medien. Dieser einfache Ansatz dient dazu, die Nutzerinnen und Nutzer dort abzuholen, wo sie sonst nach Medien suchen, nämlich am Bücherregal. Ganz ähnlich ist der Weg über QR-Codes: Bei den analogen Medien wird der QR-Code zu einem Medium im Bibliothekskatalog abgebildet.

An der TU Chemnitz erleichtern QR-Codes die Suche im E-Book-Bereich. Foto: Universitätsbibliothek Chemnitz

45Denselben Ansatz verfolgen auch Bibliotheken, die mit Hilfe von Beacons weiterführende digitale Information zu einem bestimmten Ort anbieten (Mumenthaler 2016). Die Universitätsbibliothek Bern hat ein solches Konzept am renovierten Standort Münstergasse im Rahmen des Projekts cUBe umgesetzt. Mit Hilfe von iBeacons wird zum jeweiligen Raum bzw. Standort passende digitale Information angeboten.

Screenshot vom Video zu cUBe (Quelle: Youtube)

46Es sind auch konkrete Marketingaktivitäten denkbar, um das E-Books-Angebot besser sichtbar zu machen. Aus der Kommunikation mit sozialen Medien weiss man, dass personalisierte Nachrichten oder persönliche Beiträge eine hohe Resonanz aufweisen. Entsprechend könnten FachreferentInnen ihre persönlichen Favoriten besprechen und empfehlen. Mit einer Rubrik “E-Book der Woche” kann man das Medium auch regelmässig in Erinnerung rufen. Und schliesslich können auch Events organisiert werden (z.B. eine E-Books-Woche). Eine Umsetzung findet sich hier im Beispiel der Bibliothek der HTW Chur: Es werden E-Reader mit E-Book-Tipps des Bibliotheksteams ausgeliehen. Zum einen werden so die E-Books indirekt sichtbar, zum andern gibt es hier persönliche Empfehlungen mit den Lieblingsbüchern der Mitarbeitenden der Bibliothek.

Tisch mit E-Readern und E-Book-Tipps in der Bibliothek der HTW Chur (eigene Aufnahme)

3.1.8 Elektronische Monografien oder Plattformen für E-Texte?

47Gerade im Wissenschaftsbereich ist absehbar, dass die E-Books sich als neues Medium etablieren werden, das weit über die digitale Variante einer Monografie hinausgeht. Entsprechende Entwicklungen betreffen die E-Books-Formate (Stichwort: EPUB 3), welche immer leichter auch multimediale und interaktive Inhalte integrieren. „Enhanced“ E-Books werden gerade bei Lehrbüchern eine wichtige Rolle spielen. Apple hat mit seiner Offensive für digitale Lehrbücher auf dem iPad gezeigt, dass dies ein attraktiver Markt ist, auf dem in den nächsten Jahren noch einige Bewegung zu erwarten ist.

48Im Kontext der multimedialen oder „enhanced“ E-Books  könnte zudem das bisherige Produktions- und Distributionsmodell unter Druck geraten. Die neuen Tools (wie z.B. iBooks Author von Apple) erlauben es einem Autor, selbst attraktive multimediale und interaktive E-Books herzustellen und diese dann auf einem eigenen Server zu veröffentlichen. Es ist durchaus denkbar, dass sich Hochschulbibliotheken in diesem Sektor engagieren und Forschende und Dozierende bei der elektronischen Publikation unterstützen – und damit in das Kerngeschäft von Verlagen vorstossen. Gleichzeitig böte sich hier die Möglichkeit, die Publikation unter Open Access direkt zu fördern. Diese Aussage aus dem Jahr 2012 hat sich als etwas zu optimistisch erwiesen. Die Produktion multimedialer E-Books ist nicht trivial. Es fehlen nach wie vor einfach zu handhabende Tools, wie das genannte iBooks Author, welche die Herstellung offener Formate ermöglichen.

49Eine ganz andere Entwicklungslinie bei E-Books zeigt in Richtung vernetzter Plattformen, die zusätzlich in die Wissenschaftskommunikation eingebunden sind. Das würde bedeuten, dass E-Books noch weniger als digitale Monografien verstanden werden, sondern als Elemente einer über semantische Verknüpfungen und mit Hyperlinks verbundenen Wissensplattform. Auf solchen Plattformen würden die Forschenden direkt ihre Annotationen anbringen und Texte auch kollaborativ erarbeiten oder verändern. An dieser Entwicklung arbeiten auch die Verlage, wie Springer mit seiner Plattform Springer Link (http://link.springer.com). Hier werden aktuell rund 10 Millionen E-Books (Kapitel), Zeitschriftenartikel, Referenzwerke und Protokolle auf einer Plattform angeboten (Stand Januar 2017).

50Einen spannenden Ansatz bietet die Weiterentwicklung des oben genannten Produkts ECCO: Aus dem lizenzpflichtigen kommerziellen Angebot wurde die offene Plattform ECCO-TCP. (http://quod.lib.umich.edu/e/ecco/) Die Texte wurden als maschinenlesbare XML-Files formatiert und in einer offenen Lizenz publiziert. (http://www.textcreationpartnership.org)

The Text Creation Partnership creates standardized, accurate XML/SGML encoded electronic text editions of early print books. We transcribe and mark up the text from the millions of page images in ProQuest’s Early English Books Online, Gale Cengage’s Eighteenth Century Collections Online, and Readex’s Evans Early American Imprints. This work, and the resulting text files, are jointly funded and owned by more than 150 libraries worldwide. All of the TCP’s work will be released the public domain for anyone to use.

51Da die Texte nun ohne Restriktion benutzt werden können, wurden von verschiedenen Universitäten und Bibliotheken Anwendungen entwickelt. So kann man die Werke aus dem Oxford Text Archive in allen möglichen Formaten (EPUB, mobi, TEI XML, HTML) herunterladen oder die Metadaten als Linked Open Data nutzen und in andere Anwendungen einbinden.

52Ein neues Konzept stellen auch die Living Handbooks dar, die auf der Plattform PUBLISSO der ZB MED produziert und angeboten werden. Die Living Handbooks stellen dynamische Web-Publikationen dar, die in den schnelllebigen Lebenswissenschaften stets aktualisierte Information bieten wollen. Die Handbooks können mit Bildern, Videos, Forschungsdaten etc. angereichert werden und werden versioniert. (http://www.publisso.de/open-access-publizieren/buecher-publizieren/)

3.1.9 Infrastruktur und Know-how in Bibliotheken

53Im Zusammenhang mit der Nutzung von E-Books ist die benötigte technische Infrastruktur meist schon für E-Journals aufgebaut worden. Der Vorteil des aktuellen Angebots besteht für Bibliotheken darin, dass die technischen Plattformen von Verlagen und/oder Aggregatoren bereitgestellt werden. Die Bibliothek muss somit nur auf die entsprechenden Titel verlinken. Nur: dieser Vorteil bedeutet auch, dass die Bibliotheken von den Angeboten und Dienstleistungen der Verlage und Aggregatoren abhängig sind. Die Einflussmöglichkeiten sind dadurch beschränkt – und hängen von den finanziellen Möglichkeiten der Bibliotheken ab.

54In Bezug auf die Nutzer stellt sich den Bibliotheken die Frage, ob sie auch Lesegeräte zur Verfügung stellen sollen. Im wissenschaftlichen Bereich mit dem PDF als Standardformat der E-Books, bzw. der E-Books-Kapitel, werden die Inhalte in der Regel auf PCs, Laptops und allenfalls auf Tablets genutzt. E-Reader konnten sich nicht durchsetzen oder allenfalls im Bereich der belletristischen Angebote Öffentlicher Bibliotheken. Entsprechend ändert sich durch die E-Books wenig. Für externe Nutzer, die nicht Angehörige der Hochschule sind, sollten PCs mit der Möglichkeit zum Download und Abspeichern der E-Books und Artikel bereitgestellt werden. Diese Nutzung wird durch Lizenzen für sog. “Walk-in  User” ermöglicht. Für die Hochschulangehörigen ist ein gut funktionierendes WiFi-Angebot Bedingung, das an Hochschulen meist durch deren IT-Dienste bereitgestellt wird. Mit EDUROAM können auch Gäste aus anderen Hochschulen von diesem Angebot profitieren.

Publikationen

Büning, Petra (2015): „Quellentaucher“ – neue Wege in der Informationsrecherche. In: Bibliotheksdienst 2015; 49(6): 620–628. http://dx.doi.org/10.1515/bd-2015-0071

Eidgenössisches Departement des Innern EDI, Bundesamt für Statistik: Definitionen der Variablen der Schweizerischen Bibliothekenstatistik. Langfragebogen, Zusatzfragen und Benchmarking. Neuchâtel, März 2016.

Fischer, Karen S. (2016): Patron Driven Acquisitions: Assessing and Sustaining a Long-Term PDA E-Book-Program. In: Ward, Suzanne M. et al. (Eds), Academic E-Books, S. 107-126.

Golsch, Michael (2012): Give Patrons What They Want : Nutzerbestimmte Bestandsentwicklung in der SLUB-Dresden. In: BIS – Das Magazin der Bibliothek in Sachsen 5 (2012), Nr. 1, S. 34–37.

Herb, Silvia (2015): Patron-Driven Acquisition. In: Griebel, Rolf; Schäffler, Hildegard; Söllner, Konstanze (Hg.): Praxishandbuch Bibliotheksmanagement, Bd. 1, Berlin/München/Boston: De Gruyter Saur, 2015, S. 227–240.

Halle, Axel; Junkes-Kirchen, Klaus (2014): Die nutzergesteuerte Erwerbung mit PDA (Patron-Driven Acquisition) kann eine ernsthafte Alternative zum bisherigen Erwerbungssystem in Hochschulbibliotheken werden! In: B.I.T.online 17 (2014), H. 5, S. 465–467. http://www.b-i-t-online.de/heft/2014-05-kontrovers.pdf

Mumenthaler, Rudolf (2016): iBeacons für ortsbezogene Information. In: Blog Informationswissenschaft, Chur 2016. http://blog.informationswissenschaft.ch/ibeacons-fuer-ortsbezogene-information/ 

Plappert, Rainer (2015). Patron-Driven Acquisition (PDA) – ein Modell mit Zukunft?. o-bib. Das offene Bibliotheksjournal / herausgegeben vom VDB, 2(4), 85-94. doi:http://dx.doi.org/10.5282/o-bib/2015H4S85-94

Reimers, Frank (2012): E-Book-Umfrage an der Universität Freiburg – eine Einschätzung aus dem Südwesten Deutschlands im Vergleich zu anderen Erhebungen. In: b.i.t.online 15 (2012) Nr. 4, S.344-353.

Rösch, Henriette (2013): Die Bibliothek als soziales System im Umbruch. PDA und ihre Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Bibliothek und ihren Nutzern. In: Bibliothek: Forschung und Praxis 37 (2013), H. 1, S. 70–77. http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2013-0013.

Swords, D. (Ed.) (2011). Patron-Driven Acquisitions. History and Best Practices. Berlin, Boston: De Gruyter Saur.

Taubert, J. (2013). Absentia in Praesentia? Zur Präsentation und Vermittlung digitaler Medien im physischen Raum. Wiesbaden: Dinges & Frick GmbH.

Vieler, Astrid (2013): Patron Driven Acquisition – Wie wird die Ebook Library (EBL) an der Universität Leipzig genutzt? In: Bibliothek: Forschung und Praxis 37 (2013), H. 3, S. 363–367. http://dx.doi.org/10.1515/bfp-2013-0055.

 


  1. Das Kapitel basiert auf einem Artikel in der BuB von 2012 (Mumenthaler 2012).
  2. https://wiki1.hbz-nrw.de/download/attachments/84541474/DBS_WB_2016_vorab.pdf?version=1&modificationDate=1478249413201
  3. Vgl. http://www.proquest.com/products-services/ebooks-main.html (besucht 12.8.2016).
  4. http://www.library.ethz.ch/de/Ressourcen/E-Books-Buecher/E-Book-Anbieter 
  5. Definitionen der Variablen der Schweizerischen Bibliothekenstatistik. Langfragebogen, Zusatzfragen und Benchmarking. BfS 2017, S.12.
  6. Besten Dank an Gregor Bangert für diesen Hinweis.
  7. https://www.zb.uzh.ch/recherche/e-ressourcen/e-books/index.html.de
  8. Standard ist heute das Virtual Private Network (VPN). Alternative Modelle beschreibt Andreas Bohne-Lang: Technische Möglichkeiten des Zugriffs auf lizenzierte Verlagsinhalte durch Bibliotheksnutzer. In: ABI Technik 32 (2), 2012, S.62-67.
  9. Dass dies grundsätzlich möglich ist, zeigt die Einrichtung entsprechender Berechtigungen für die Nationallizenzen in der Schweiz.
  10. Bei den Springer E-Books Chemistry & Materials Science sind z.B. 622 Titel aus den Jahren 2005-2008 enthalten.

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