2. Nutzung von E-Books

1Das Potential von E-Books wird besonders im Bereich der Zugänglichkeit für Menschen mit Einschränkung der Sehkraft zum Ausdruck. Das beginnt ganz einfach damit, dass sich in einem E-Book im Format EPUB (oder Mobi) die Schriftgrösse auf den Lesegeräten nach individuellen Bedürnissen einstellen lässt. Diese Möglichkeit, die Schrift zu vergrössern oder den Kontrast zu verändern, kommt vielen älteren Menschen entgegen, deren Sehkraft auf nahe Distanzen nachlässt. Das führt dann dazu, dass sich die E-Reader bei der “Generation Lesebrille” grosser Beliebtheit erfreuen.

2Tablets und Smartphones bieten noch viel mehr. Sie zeichnen sich durch sehr vielfältige Bedienungshilfen aus, welche das Lesen von Texten enorm erleichtern. Smartphones und Tablets haben die Möglichkeiten der Nutzung von Information durch Menschen mit Sehbehinderung grundlegend verändert. Es lassen sich nicht nur Schriften vergrössern, sondern auch Texte vorlesen. Das E-Book (oder die Zeitung, die Zeitschrift) wird somit zum Hörbuch. Auf Audiobooks gehe ich hier nicht ein – aber es ist klar, dass die Tablets mit ihren audiovisuellen Komponenten sich auch sehr gut dafür eignen, Audiobooks (wie überhaupt Film- und Tondokumente) abzuspielen. Und logisch, dass wir es auch hier mit Fragen der Dateiformate zu tun haben und welche von welchem System unterstützt werden. Die E-Reader haben diese Fähigkeit mehrheitlich verloren: Die ersten Modelle verfügten noch alle über eine Tonausgabe, doch mittlerweile ist dieses offenbar selten genutzte Feature bei den meisten E-Readern verschwunden.

3Wir können also festhalten, dass die Tablets über sehr vielversprechende Möglichkeiten verfügen, um sehbehinderten Menschen den Zugang zu Information zu erleichtern. Aber wir wissen, dass sich das Potenzial erst im Zusammenspiel von Medium (E-Book), Software und Hardware entfalten kann. Der Aspekt Software wird von zahlreichen Apps abgedeckt, die den Funktionsumfang der Tablets und Smartphones ausschöpfen. Die standardmässige E-Books-Anwendung auf dem iPad, dem iPhone und auf dem Mac ist iBooks von Apple, und diese Software bietet sehr gute Unterstützung für die im Betriebssystem vorhandenen Funktionen. Die Sprachausgabe wandelt das geschriebene Wort zuverlässig in gesprochene Sprache um.

2.2.1 Barrierefreie E-Books mit EPUB 3

4Die Forderung nach barrierefreiem Zugang ist heute gesetzlich geregelt und gilt auch für den Zugang zu Information. Entsprechend müssen Webseiten (zumindest öffentlicher Einrichtungen) so gestaltet sein, dass sie von allen Menschen, auch von Menschen mit Behinderungen (v.a. mit Sehbehinderung), genutzt werden können. Dies lässt sich auch auf Publikationen der öffentlichen Hand übertragen. Ich verweise hier gerne auf die Publikation von Baudisch et. al. “Barrierefreiheit zur Routine machen – Praxisfall: Digitale Bibliothek”, welche kompetent in das Thema einführt und dann die Anwendung auf digitale Bibliotheken vornimmt. Dieser Text hat mir aufgezeigt, dass es von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist, auch digitale Texte und Angebote in Bibliotheken gemäss dem Konzept des Universal Design allen Menschen zugänglich zu machen. Und es geht weniger darum, spezielle Lösungen für Menschen mit Sehbehinderung zu treffen, sondern Webangebote so zu konzipieren, dass sie für alle leicht verständlich und zugänglich sind.

5Das Format EPUB 3 bietet dafür eine sehr gute Grundlage. Auch in EPUB 2 lassen sich barrierefrei nutzbare E-Books produzieren, doch EPUB 3 verfügt über einige zusätzliche Spezifikationen und Funktionen, die es zum idealen Format machen. Grundlage für diese speziellen Elemente des EPUB 3-Standards war das Format DAISY (Digital Accessible Information System), in dem Hörbücher für Blinde produziert werden. Idealerweise werden die Grundsätze schon bei der Produktion befolgt, da es sehr umständlich und aufwändig sein kann, ein E-Book nachträglich aufzubessern. Baudisch (2015, S.33) nennt folgende Kriterien:6

  1. Strukturelemente sind ausgezeichnet (Tagging)
  2. Lesereihenfolge und Beziehungen zwischen den Strukturelementen sind eindeutig und logisch.
  3. Vollständige und logische Navigation.
  4. Seitenzahlen der Printausgabe sind zu integrieren.
  5. Alternativtexte für jeden auditiven oder visuellen Inhalt.
  6. Digitales Rechtemanagement (DRM) darf assistive Technologien (Screenreader, Braillezeile) nicht behindern.
  7. Trennung von Inhalt, Struktur und Layout.
  8. Für wissenschaftliche Texte: Notationen, wie etwa Formeln, müssen in zugänglicher Form angeboten werden (MathML).
  9. Angabe von Hauptsprache und Sprachwechsel.

7Der Königsweg besteht also darin, dass E-Books auf der Basis von XML produziert werden und dann in die verschiedenen Ausgabeformate ausgegeben werden. “XML first” ist entsprechend der Slogan, dem sich E-Books-Produzenten verschreiben sollten. Eine kleine Einschränkung scheint mir bezüglich der oben genannten Kriterien nötig: Die Seitenzahl der Printausgabe kann in diesem Fall nicht integriert werden, da eben gerade nicht davon ausgegangen wird, dass ein Printprodukt hergestellt wird, das dann auch noch elektronisch angeboten wird.

8PDF-Dokumente können mehr oder weniger gut barrierefrei zugänglich sein. Adobe bietet Tools zur Verbesserung von PDF-Dokumenten an, damit auch hier die logische Reihenfolge der Überschriften, die Alternativtexte zu Illustrationen und die Sprachwechsel angezeigt werden. Doch muss gesagt sein, dass ein PDF trotz aller Bemühungen kein optimales Format für den barrierefreien Zugang darstellt.

9EPUB 3 bietet mit den Media Overlays eine Funktion, die sich gerade für die barrierefreie Nutzung sehr gut eignet. Der visuelle Inhalt lässt sich mit dieser Funktion mit einer Sprachausgabe synchronisieren. Das heisst, dass eine Audiospur abgespielt wird, die sich nach dem dargestellten Text richtet. EPUB 3 kann somit als Format für Hörbücher eingesetzt werden. Interessant scheint mir noch die Erkenntnis, dass Vollblinde Bücher bevorzugen, die von Menschen vorgelesen werden, wogegen später Erblindete sich durchaus mit der synthetischen Stimme des Screenreaders anfreunden können. Mit der Verbesserung der synthetischen Sprachausgabe dürfte auch die Akzeptanz dieser Variante zunehmen. Im Sinne eines Zugangs für alle und der Inklusion scheint mir ebenfalls die Variante zukunftsträchtiger, dass ein E-Book für alle im selben Format (EPUB 3) publiziert wird, das von Menschen mit oder ohne Behinderung gleichermassen genutzt werden kann.

Literatur:

Baudisch Susanne, Dittmer Elke, Kahlisch Thomas (2015): Barrierefreiheit zur Routine machen. Praxisfall: Digitale Bibliothek. In: Informationspraxis. http://dx.doi.org/10.11588/ip.2015.1.16888

Frauchiger, Charlotte (2016): Barrierefreie E-Books (Churer Schriftenreihe zur Informationswissenschaft, No.77), Chur 2016. http://www.htwchur.ch/uploads/media/CSI_77_Frauchiger.pdf

Garrish, Matt (2012): Accessible EPUB 3. Best Practices for Creating Universally Usable Content. Sebastopol: O’Reilly.

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